Imagegewinn oder Eigentor? – Öffentliche Namensdisputation der Universität in St. Petri

Thomas-Mann-Universität zu Lübeck: So soll sie also bald heißen, die Lübecker Uni, jedenfalls wenn es nach dem Willen des Präsidiums geht. Nachdem es intern spürbaren Gegenwind aus den Reihen von Professoren, Mitarbeitern und vor allem Studierenden gab, verlagerte die Uniführung die Diskussion in die Öffentlichkeit – zunächst mehrfach in die Lokalzeitung und heute Abend in den öffentlichen Raum der Universitätskirche St. Petri. Hier ein paar Anmerkungen aus diskursanalytischer Sicht dazu direkt nach der Veranstaltung.

Was sofort auffiel: Trotz großer Vorankündigung auf Plakaten und in den lokalen Medien hat kaum ein Bürger den Weg in die Diskussionskirche der Stadt gefunden. Die Universitätsmitglieder samt Studierenden bleiben praktisch unter sich. In der ausgiebigen offenen Diskussion nach drei den Zeitplan erheblich überschreitenden Mini-Talkrunden der Protagonisten gibt es keine einzige Frage oder Stellungnahme, die nicht von einem „Insider“ kommt. Was sagt uns das? Vielleicht vor allem dies: Selbstverständlich ist die Universität für die Stadt in vielerlei Hinsicht sehr wichtig – nicht zuletzt auch in wirtschaftspolitischer. Aber das Namensthema erscheint den in der Wissenschaftsstadt Lübeck sonst vielfältig an Wissenschaft im öffentlichen Raum interessierten Stadtbürgern nicht so interessant, dass sie hier ihren Abend mit Zuhören und Nachhaken verbringen möchten. Das Thema wird wohl als Insider-Thema wahrgenommen – womöglich ein Hinweis an die Verantwortlichen, wo ihr Diskursraum wirklich liegt.

PR-technisch professionell hat die Universitätsleitung eine Mini-Studie beim Centrum für Hochschulentwicklung in Auftrag gegeben, die an diesem Abend präsentiert und gedruckt verteilt wird. Der unbefangene Zuhörer fragt sich dabei allerdings, warum die aus internen „Expertengesprächen“ hervorgegangene „Stellungnahme“ der Gutachter sich an Namensalternativen abarbeitet, die niemand zuvor ernsthaft in Betracht gezogen hat. Die zehn gefundenen Kriterien für funktionierende (also in der einen oder anderen Weise kommunikativ wirksame) Namen von Hochschulen hatte der gesunde Menschenverstand der Lübecker Universitätsplaner sicher auch zuvor schon herausgebracht und in Argumente für den Namensvorschlag Thomas-Mann-Universität überführt. Ob es darüber hinaus einer Rechtfertigung durch Autoritäten (externe Experten mit einem "Namen") bedurfte, um einen Überzeugungseffekt bei den Zuhörern zu erzielen, muss dahingestellt bleiben. Die Nachfrager bezogen sich jedenfalls kaum darauf, sondern blieben direkt bei der Sache in ihren diskutablen Einzelaspekten.

Gewinn oder Eigentor?

Die in einer sehr sachlichen Atmosphäre wiederholt ausgetauschten Argumente für und gegen eine Umbenennung der Universität im Allgemeinen und in Thomas-Mann-Universität im Besonderen brachten naturgemäß nichts Neues. Auf eine Diskussion um einen hier eher nicht zielführenden „Marken“-Begriff haben die Teilnehmer sich zurecht und glücklicherweise nicht eingelassen. Die sich gegenüberstehenden Grundperspektiven auf das Thema wurden insbesondere aus dem Publikum noch einmal auf den entscheidenden Punkt gebracht: „Imagegewinn oder Eigentor“? Oder professionell PR-technisch ausgedrückt: Ist das Kosten-Nutzen-Verhältnis bei der angestrebten Umbenennung gut oder wenigstens akzeptabel? Oder bringt das Umbenennungsprojekt kommunikative Hürden (und die Kosten zu deren Überwindung, innen wie außen) mit sich, die man sich buchstäblich auch sparen kann? Eine ernste Hürde wäre etwa das bleibende intuitive Missverständnis auf Rezipientenseite: „Ihr macht jetzt auch Literaturwissenschaft? Oder schmückt ihr euch nur mit einem berühmten Namen?“ Hier muss also (gewissermaßen kontraintuitiv) aktiv und erklärend am Image gearbeitet werden, damit der positive Imagetransfer vom großen Namen auf die Institution glaubwürdig gelingen kann.

Aus PR-strategischer Sicht ist ein solcher Imagegewinn insbesondere im überregionalen und internationalen, dabei auch im wirtschaftlichen (Zustifter-) Bereich langfristig durchaus zu erwarten: Thomas Mann ist insgesamt sicher bekannter als die kleine Lübecker Universität selbst und dabei normalerweise auch umfassend-positiver konnotiert. Mit entsprechendem kommunikativem Aufwand lassen sich bei guter Vorbereitung und konsequentem, breitem Medieneinsatz (vor allem nach außen, aber auch nach innen) auch glaubwürdige Verbindungen zwischen dem neuen Namenspatron (etwa: als vielschichtigem Lebensforscher) und dem bestehenden (und dem zukünftig angestrebten) Profil der Uni herstellen und aufbauen, die dann auch zur internen Weiterentwicklung (bis hin zu neuen Lehrstühlen oder gar Studiengängen) beitragen können. Der Image-Entwickler im Schreiber dieser Zeilen möchte also am liebsten gleich loslegen und das Projekt gestalten.

Wie immer im wirklichen Leben stellt sich aber dann die projektstrategische Doppelfrage: Kriegen wir das in der Umsetzung realistisch hin und lohnt sich der ganze Aufwand jetzt oder später? Zu schade, dass es hier Glaubenssache ist und bleiben wird, was am Ende höher einzuschätzen ist: die Chancen oder die Risiken bzw. der Aufwand für deren kommunikative Beseitigung. Irgendwelche Studien helfen hier nicht weiter, die Wette auf die Zukunft bleibt immer eine Wette mit offenem Ausgang. Entscheiden müssen die jetzt und hier gestaltenden Menschen. Die Universitätsführung wirkt aber entschlossen und auch weitgehend geschlossen, sodass die Wahrscheinlichkeit wohl relativ groß ist, im Entscheidungsgremium (Senat) eine entsprechende Dreiviertelmehrheit zu erlangen. Nicht ganz klar bleibt, ob das Projekt stirbt, wenn die soeben gestartete interne Online-Umfrage unter allen Uni-Mitgliedern eine deutlich andere Tendenz ausweisen sollte, was nicht so ganz unwahrscheinlich ist. Denn an der nehmen offenbar auch die Studierenden teil, die sich im öffentlichen und im internen Raum überwiegend als die „Konservativen“ (nämlich den Namen „Universität zu Lübeck“ ohne Zusätze Bewahrenden) dargestellt haben. Das allerdings stellt das erste große Risiko dar für die „Progressiven“ (nämlich mit Zukunftsargumenten arbeitenden Veränderer) in diesem interessanten Diskurs-Prozess. Man darf also weiter gespannt auf den Campus und die Nachrichten von dort blicken. Wir bleiben dran…

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