
Wörter, die man nicht mehr hören will - heute: "authentisch"
Es gibt Wörter, die kann man einfach nicht mehr hören. In unserer kleinen Reihe geht es heute um das beliebte Attribut "authentisch", das allzu oft dazu herhalten muss, mangelnde Professionalität oder Angemessenheit eines Verhaltens zu rechtfertigen.
Da ist es wieder, das stets etwas verlogen wirkende Zauberwort: "Authentisch" sei das gewesen, lobt der Moderator den Redner, der soeben geschlagene 45 Minuten lang in unvollständigen Sätzen Platitüden von sich gegeben hat. Es sollte mal wieder ein gaaanz neuer Marketing-Trend ausgerufen werden, weswegen der "bekannte Business-Keynote-Speaker" (wie der Moderator ihn vorstellte) extra aus der Metropole in die Provinz gereist war.
Ein recht fatales Lob für diesen so groß- wie leersprecherischen Redner, wenn man es genau bedenkt. "Authentisch" ist man ja dem (griechisch-lateinischen) Wortsinne nach, wenn man mit sich "selbst" deckungsgleich ist (wie immer das geht) oder in einer Situation "echt" und von daher (meinen manche jedenfalls) "glaubwürdig" auftritt, wenn also Sein und Schein übereinstimmen. Daraus folgt für unseren Redner leider: Der Mann ist wirklich so unschlau, wie er spricht. Ein Lob hört sich dann doch anders an...
Romantisch oder realistisch?
Wie kommt es zu so etwas? - Das Wörtchen "authentisch" hat sich aus dem trivialpsychologischen Sprachgebrauch der 80er Jahre (im Rückgriff auf romantische Impulse: "Entdecke deine echten Gefühle, dein authentisches Ich/Selbst!") bis heute nicht nur in der breiteren "Psycho-Szene" gehalten, sondern ist von dort zusätzlich in alle möglichen sozialen Gruppen und Schichten "eingewandert", darunter auch in die Businesswelt des mittleren und des Personal-Managements. Im Ergebnis weiß heute kaum noch jemand, was er wirklich meint, wenn er "Authentizität" lobt oder einfordert.
Die (zumindest angestrebte) Übereinstimmung von Sein und Schein ist ja eigentlich eine schlichte Selbstverständlichkeit unter irgendwie ernstzunehmenden erwachsenen Menschen: Der Redner, heißt das, versucht zumindest, nicht bewusst in Worten und Gesten zu lügen. Gut! - Diese Bedeutung des Wortes hat unser Moderator aber nicht gemeint. Er bezieht sich (wahrscheinlich unbewusst) auf das verbreitete Diskurssymbol "authentisch sein" im Sinne von "echt" und damit(!) erstaunlicherweise "gut" oder "richtig" sein: "Ich darf so bleiben, wie ich bin!" So jubelt die Werbung den ahnungslosen Verbrauchern eine angeblich fettreduzierte Produktserie unter. Auch gut, wenn es (in der Werbung) funktioniert! - Aber warum verkauft der Moderator auf diese Weise seinen Redner, der nicht klar reden kann, an sein eher kopfschüttelndes Publikum? Meine Vermutung: Weil er Authentizität (als eingebildetes "Sich-Selbst-Sein") für eine Qualität an sich hält, egal in welchem Kontext!
Und das ist eben ein fataler Fehler: Ein professioneller Redner hat halt professionell zu reden (das heißt insbesondere: zielgerichtet über sein Thema für sein Publikum). Ein Laudator etwa hat den zu Bejubelnden hochleben zu lassen (und nicht sich selbst). Professionelle "Authentizität" zum Beispiel eines Geschäftsführers zeichnet sich gerade dadurch aus, dass er seine Rolle versteht und annimmt (und beispielsweise nicht vor seinen Mitarbeitern ins Zittern gerät, wenn er ein paar Worte sagen muss). Als Rechtferigung, genauer: Ausrede, für mangelnde Professionalität taugt das viel zu häufig gebrachte A-Wort ganz und gar nicht. So wird man doch eher "unglaubwürdig". Also, liebe (Aus-) Redner und sonstige Authentizitätsfanatiker, vergesst einfach mal euch selbst und euer "Ich sag mal..." und geht zu den Sachen selbst. Oder wechselt einfach den Beruf!